Feldnotizen eines Studierenden

|| Dienstag 10:03 Uhr: … Schnell durch die Massen von Studierenden aus der U-Bahn drängen, mitten in der Herde von jungen, aufstrebenden, angehenden Akademiker_innen, der zukünftigen, privilegierten Elite, in die Ausbildungsfabrik Goethe-Uni, um pünktlich auf der Anwesenheitsliste für das Seminar unterschreiben zu dürfen … Hektisches Treiben an der Kreuzung vor den Toren der Uni, die schützende Einhegung des Geländes ist nun ganz nah. … Geschafft, hier fühle ich mich sicher, endlich erfolgreich den Gefahren der Alltagswelt entronnen und im Schutze des Zauns und der Kameras! Aufstieg Richtung PEG-Gebäude … Kurz noch über den „schönsten Campus Deutschlands“ flanieren dürfen, die großzügige Gestaltung der Grünflächen, die einladenden Fassaden der Gebäude mit einem Blick streifen und die Treppen zum PEG-Gebäude hinaufschreiten … Stolz erfüllt meine elitäre Brust! Die Glasfassade des Gebäudes liegt also vor mir, nur noch die Drehtüren hinter mich bringen und im Zweifelsfalle könnte ich auf Anfrage mit meiner RFID-gechippten „Goethe-Card“ meine Gästelistenzugehörigkeit nachweisen. Doch heute nicht. Echt laxe Kontrollen hier … Treppen rauf, nach dem Trial-and-Error-Prinzip durchstreife ich die unverwechselbaren, freundlich gestalteten Gänge des Instituts … Endlich, Seminarraum gefunden und sogar pünktlich! Wooowww … dieses Holz an den Wänden und die Medienausstattung, sogar eine seminarraumeigene Kamera … Klasse! Da wurde richtig Geld in die Hand genommen, um das Studieren zu optimieren! 

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|| 11:45 Uhr: …“Puh, das war echt viel Stoff“, sagt mein 17-jähriger Tischnachbar verzweifelt … Ich nicke ab und verlasse den Seminarraum mit einer Gruppe Mitstudierender … Hmmm … jetzt haben wir alle vier Stunden Zeit bis zur nächsten Veranstaltung: Was machen wir Leute? Eigentlich wollten wir in lockerer Runde unsere Gruppenarbeit besprechen. Nur wo ist in dieser Anstalt ein Raum, an dem eine entspannte Atmosphäre herrscht, wir uns also wohlfühlen und gleichzeitig niemanden mit unserem Gespräch stören? Wo können wir uns in diesem Gebäude mal zurückziehen, wie auf dem alten Campus, z.B. im Koz? Wo finden wir überhaupt eine studentisch verwaltete Räumlichkeit? Mit Essen und Getränken zu moderaten Preisen, Infomaterial über studentische Aktivitäten und Initiativen, der Möglichkeit Veranstaltungen zu organisieren und abzuhalten. Ein Raum, in dem Studium und außerstudentische Aktivitäten nicht klar voneinander getrennt sind. Das Studierendenhaus befindet sich auf dem Campus Bockenheim und nicht im Westend … Bibliothek: kein Gespräch möglich. Gruppenräume in der BIB: belegt. Foyer: keine richtige Sitzmöglichkeit. Fachschaftsecken / Teeküche: werden als Arbeitsraum genutzt. Die Cafés des Studentenwerks: … wer soll sich das auf Dauer leisten!? Die sog. „Kombizone“: liegt auf dem Gang und im CIP-Pool heißt es: „no group picknicking“ … Ach so, vielleicht draußen auf dem Campus? Im Wintersemester? Nicht wirklich!

|| Für Studierende, die gerade keine Veranstaltung besuchen, kein Bedürfnis nach Konsum oder Stillarbeit haben scheint an unserer tollen, neuen Uni wenig Platz vorgesehen zu sein … Ein studentischer Freiraum? Hier? Fehlanzeige! Tja, dann fahren wir wohl alle erstmal wieder nach Hause und sehen uns zu unserer Nachmittagsveranstaltung wieder, welche mittlerweile übrigens schon in einer Stunde beginnt … Und unser Gruppengespräch verlegen wir auf heute Abend in unsere WG … Sinnlos aber wahr! Wir sind uns nach diesem Tag letztlich alle einig: Wir fühlen uns an der „neuen Goethe Uni Frankfurt“ unwohl. Es ist allerhöchste Zeit, etwas an diesen Umständen zu ändern!