Ein Fremdkörper nimmt Anstoß – Film

Campusrundgang – Labor für Raumstrategien from Iris Dzudzek on Vimeo.

An der Frankfurter Universität haben sich in den vergangenen 50 Jahren erhebliche Transformationen vollzogen. Waren es in den 1960er Jahren die Forderungen der Studierenden, die die Umgestaltungs- und Demokratisierungsmaßnahmen in Gang brachten, selbstverwaltete studentische Strukturen erkämpften und damit eine maßgebliche Öffnung der Universität auslösten, so erleben die Studierenden im Zuge der Bologna-Reform und der Umwandlung in eine Stiftungsuniversität, dass die Hochschule ganz anderen, von oben herab umgesetzten Wandlungsprozessen unterzogen wird: Umstellung auf modulare Bachelor- und Masterstudiengänge, Drittmittelfinanzierung, Stiftungsprofessuren, befristete Arbeitsverträge für Lehrpersonal, Umzug auf den teilweise privatisierten IG-Farben Campus, Entmachtung der Studierendenschaft und Einschränkung studentischer selbstverwalteter Strukturen kennzeichnen die aktuelle Studiensituation.

Die in den Bologna-Absichtserklärungen angestrebte konsequente Förderung arbeitsmarktbezogener, wissenschaftlicher Qualifikationen, sowie die Stufung, Straffung, Standardisierung und Qualitätssicherung der Lehre sollen die EU zur wettbewerbsfähigsten Wissensgesellschaft der Welt machen (vgl. European Ministers of Education, 1999). Auch an der Frankfurter Universität wurden neoliberale Strategien zur konzentrierten Steuerung der Technologie- und Wissensproduktion implementiert (vgl. Ruschig: 2007, zit. in Duveneck et. al 2011: 256 f.). „War die fordistische Bildungsökonomie makroökonomisch und planerisch auf die Nachfrage nach Studienplätzen bzw. Absolventen ausgerichtet, so setzte sich im Laufe der 1990er Jahre der neoliberale, mikroökonomisch bzw. betriebswirtschaftlich inspirierte Modernisierungsdiskurs auch in den Hochschulen durch“ (Sablowski, 2010: 9, zit. in Duveneck et. al 2011: 256 f.), welcher eine auf dem Prinzip der Konkurrenz angelegte Bildungs- und Forschungslandschaft vorbereitete (Duveneck et. al ebd.).

Umzug der Universität und Neuausrichtung

Neben den Umsetzungen der oben beschriebenen „Studienreformen“ vollzieht sich seit 2001 auch der Umzug auf den IG-Farben Campus. Die Neuausrichtung der Universitäten zeigt sich in Frankfurt nicht nur in der Umgestaltung des Studiums auf struktureller Ebene. Der Umzug auf den IG-Farben Campus kann als zusätzliche Verschärfung in der Ausprägung des neu angestrebten Profils der Universität verstanden werden.

Belina et al.(2013) setzen sich in der Zeitschrift „suburban“ mit der Neuausrichtung der Goethe Universität und den Wirkungen des neuen Universitätsstandorts ausführlich auseinander:

Seit dem Umzug 2001 wird der Neoliberalisierung der Goethe Universität in vielfältigen räumlichen Ausgestaltungsmerkmalen Ausdruck verliehen. Die Konstruktion des IG-Farben Campus ist ein wichtiger Teil der Neuorientierung der Universität und dient als Ressource im Wettbewerb der Universitäten, welcher einen immer höheren Stellenwert erhält: „Alle bisherigen Planungen erfüllen den Anspruch der Universität, im Wettbewerb mit führenden nationalen und internationalen Universitäten durch optimale Arbeitsumgebungen zu exzellenten wissenschaftlichen Leistungen beizutragen und der Qualität der Einrichtung eine angemessene bauliche Erscheinung zu geben“ (Land Hessen 2007:10). Die Wissenschaft allein steht nicht mehr im Vordergrund, viel mehr richtet sich der Fokus auf die Zusammenarbeit mit der Politik und dem Finanzmarktsektor (vgl. Belina et al. 2013: 66 ff.). Die Gestaltung des Campus wirkt elitär und soll diesem Ort eine materielle und geistige Macht verleihen. Mit einer „zero-tolerance Praxis“ wird präventiv zu verweigern versucht, was nicht mit dem Bild des Campus übereinstimmt. Als architektonische Abgrenzung nach außen dient der Zaun, der einmal um den kompletten Campus herumführt und ein Gefühl von Privatheit entstehen lässt. Dadurch fühlt man sich als Studierende/r bei einem Aufenthalt als Gast an diesem Ort. Doch nicht nur das Gefühl ist privat, sondern auch die Anstellungsverhältnisse des Sicherheitspersonals, welches in Kombination mit den unzähligen Überwachungskameras eine zentrale Funktion in der „Abwehr“ von Störfaktoren aus dem städtischen Umfeld erhält.

Anstatt studentische Freiräume, für Aktivitäten auch jenseits des vorgegebene Curriculums entstehen und bestehen zu lassen, sind die Nutzungsvorstellungen der Räume und Aufenthaltsorte in der Universität durch ihre klare Strukturiertheit vorgegeben. Der Fakt, dass Räume über ein privates Dienstleistungsunternehmen kommerziell vermietet werden, lässt die Forderungen nach einer Aneignung von Räumlichkeiten durch Studierende im Schein der Neoliberalisierung utopisch werden. Es wird ein Ort geschaffen, der sich an repräsentative und zahlungskräftige Unternehmen richtet, jedoch nicht an Studierende, die in einem Studium weit mehr Möglichkeiten sehen als die reine Produktion und Reproduktion des ihnen vorgesetzten Wissens (vgl. Belina et al. 2013: 66 ff.).

Auch die Erweiterung des Bereichs nördlich des Casinos und der damit einhergehende zweite Umzug der Fachbereiche der Gesellschaftswissenschaften von Bockenheim nach Westend bringt zum Ausdruck, welche Vorstellungen die Universitätsleitung in Bezug auf das Studieren und den Campus hat und wie diese räumlich verwirklicht werden sollen. Es gab bei den Neubauten keinen Bruch mit der bestehenden Architektur, vielmehr wurde die bauliche Identität des IG-Farben Hauses und damit auch die geschichtliche Kontinuität seit der NS-Zeit ungebrochen gelassen und zieht sich nun weitgehend unreflektiert durch den gesamten Campus.  Die Architektur und die Abschottung nach Außen reduzieren den Campus auf eine rein betriebliche Funktion (vgl. Belina 2013: 62 ff.).

Hintergrund des Seminars

Im Rahmen des Seminars diskutierten die Seminarteil-nehmer_innen, wie sich Neuordnungen der (neoliberalen) Arbeitswelt auch in universitären Strukturen bzw. wie diese insbesondere mit dem Umzug der Universität auf den IG-Farben Campus in seiner „neuen Realität“ in Erscheinung treten.

Zentrale Themen und Kritikpunkte waren das Fehlen jeglicher selbstverwalteter Aufenthaltsräume und Rückzugsräume sowie das zurückgelassene Studierendenhaus und das TUCA am Campus Bockenheim. Im Kontext der Räumung des IVI erscheint dies, als sollten alternative und kritische Strukturen eingedämmt und zerschlagen werden.

Mit dem Ziel die Missstände und studentischen Bedürfnisse für den weiteren Seminarverlauf herauszuarbeiten, unternahmen die Seminarteilnehmer explizit einen Wahrnehmungsspaziergang durch das PEG-Gebäude und den Bereich nördlich des Casinos. Hierbei wurden folgende Beobachtungen festgehalten: Die repräsentative Gestaltung des Campus und des PEG ist von hochwertigen Materialien, Größe, Weite, bei gleichzeitiger Enge und Rasterbauweise gekennzeichnet. Statt Flächen besser nutzbar zu machen, sind oft große (repräsentative), leere, ungenutzte (bzw. nicht nutzbare) Flächen vorzufinden, welche nicht gerade zum verweilen einladen (z.B. Innenhof PEG). Berichtet wurde größtenteils von einem Gefühl der Abweisung, fragwürdiger Nutzbarkeit, Kälte und Überwachung. Weiterhin ist der Umstand, dass keinerlei selbstverwaltete studentische Räume in der Planung Platz fanden, bzw. nach ca. 95 % igen Abschluss des Uni-Umzugs immer noch kein Studierendenhaus auf dem neuen Gelände zu finden ist, bezeichnend für die Ausrichtung der Universität.

Es verfestigt sich der Eindruck, dass Studieren in ein neues Korsett von Leistung, Effektivität und (Zeit-)Optimierung gezwängt werden soll und dies insbesondere in den räumlichen Mustern und Ausgestaltungen zum Ausdruck kommen soll. Der „Kunde“ soll seine Pflicht-Veranstaltungen besuchen, anschließend den Campus nach eventuellem Kantinenbesuch verlassen und zu Hause weiter an dem Ziel, den „return-on-invest“ schnellstmöglich zu erreichen, weiterarbeiten. Räume für alternative, selbstorgansierte und -verwaltete Strukturen sind weder vorgesehen noch erwünscht. Hierin findet sich die Intention wieder, keine Orte der Vernetzung, des zwanglosen, lockeren Austauschs und ggf. Ausgangspunkte für kritische Auseinandersetzung entstehen zu lassen. Die architektonische Gestaltung des Gebäudes fördert eine Trennung der verschiedenen, das Gebäude nutzenden Gruppen (Lehrende, Verwaltung, Studierende). Es entsteht der Eindruck sich als Studierende_r (vielleicht auch als Lehrende_r oder Verwaltungsmitarbeiter_in) nur vorübergehend als „Gast“ oder „Kunde“ an der Universität aufhalten zu dürfen.

Das Labor für Raumstrategien hat diese Missstände und Eindrücke aufgenommen und verarbeitet. Ein Zwischenergebnis ist eine Raumkapsel mit der sich Freiräume mobil aneignen lassen sowie verlorene und neue Arbeits- und Sozialformen organisieren lassen. Werdet mit uns Teil der Neuformatierung bestehender Formen des Studierens.

Literaturverzeichnis

Belina, B.; Petzold, T.; Schardt, J. u. Schipper, S. (2013): Die Goethe-Universität zieht um. Staatliche Raumproduktion und die Neoliberalisierung der Universität. In: sub\urban, Nr. 1, S. 49–74.

Duveneck A., Dzudzek, I., Keizers, M., Petzold, T., Schipper, S., Wudi, M. Schreibwerkstatt des Arbeitskreises Kritische Geographie (2011): Kritische studentische Initiativen an der Bologna-reformierten Universität – Möglichkeiten und Grenzen. In: ACME – An International E-Journal for Critical Geographies, Jg. 10, Nr. 2, S. 254–268.

Land Hessen (2007):  Realisierungswettbewerb Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Neubau der 2. Erweiterung auf dem Campus Westend. Vorabzug der Preisrichtervorbesprechung.