Omnipräsenz und Unnahbarkeit

Omnipräsenz und Unnahbarkeit – Die EZB und das Ostend from Sebastian Handke on Vimeo.

Die EZB in Frankfurt am Main. Sinnbild und Ikone von Auseinandersetzung, verbal und physisch. Viel wird darüber geredet, berichtet, gedacht, mal mehr und mal weniger. In der wissenschaftlichen Debatte bieten Fakten und Ansichten ein Stelldichein dar, das nicht ohne Emotion auskommt. Auch halten Vergleich her, die wohlwollend oder abfällig sein können.

Bei dieser aufgeladenen Melange soll mein Film ansetzen und das Diskutierte, Kommentierte und Beschriebene in optische Erscheinung setzen. Kommentieren ohne Kommentar…nun gut, nicht ganz, ein wenig Kommentar bleibt bei meinem Film nicht aus: Sowohl die Perspektive, die Machart wie auch die Komposition sind bei mir interessengeleitet. Wie auch sonst, kein Werk ist objektiv, sondern das Wesen des Filmemachers fließt immer mit ein. Und schließlich der wirkliche, akustisch zu vernehmende Kommentar: Textfragmente aus Franz Kafkas „Das Schloss“. Doch warum „das Schloss“?

Nachdem ich ein ursprüngliches Projekt über Arbeitswege mit akustischer Untermalung verworfen hatte, kam im Gespräch mit Iris Dzudzek und Jakob Sturm über mein neues Projekt, „Die EZB und das Ostend“, der Gedanke auf „Hej, das erinnert irgendwie an Kafkas ‚Schloss‘, diese Unnahbarkeit und keiner weiß etwas genaues“. Das war auch der entscheidende Punkt, warum ich das Projekt weiter verfolgen wollte und konnte: Eine Beziehung zwischen Kafkas Schloss und der EZB herstellen hat einen Reiz und etwas Interessantes, weil es Gemeinsamkeiten gibt: die Omnipräsenz und die Unnahbarkeit.

In Kafkas Roman ist das Schloss eine allgegenwärtige Erscheinung, hoch auf dem Schlossberg gelegen ist von vielerlei Stellen sichtbar, es ist omnipräsent. Zudem reden alle über das Schloss, K. der Landvermesser hört allerlei Geschichten darüber, redet sogar per Telefon mit Leuten aus dem Schloss, redet mit den Dorfbewohnern, aber wenngleich es viele wiederholte Eigenheiten gibt, die jeder über das Schloss aussagt, so gibt es auch Ungereimtheiten, die einer behauptet und ein anderer verneint. Und schließlich weiß keiner hundertprozentig, was denn nun ganz genau im Schloss vor sich geht. Ebenso verhält es sich mit der EZB. Die Sichtbarkeit von vielerlei Stellen im Ostend, das Reden und Berichten darüber, aber eine hundertprozentige Sicherheit darüber, was in den Vorzimmern der europäischen Finanzmacht vor sich geht, gibt es nicht. Irgendwo hat man sich mal darüber unterhalten, damit auseinandergesetzt, an unserem Institut, an der Uni, in unserem Alltag mit Freunden, Bekannten und Familie. Und wo viel geredet wird, entstehen viele Wahrheiten, Halbwahrheiten, Unwahrheiten und keiner weiß am Ende genaues oder im schlimmsten Fall, behauptet jemand, Nichtgenaues genau zu wissen.

Wie also eine Verbindung zwischen dem Dorf Ostend und dem Schloss EZB herstellen? Hier kommen die Geräusche ins Spiel. Durch den Film hinweg begegnen dem Zuschauer Geräusche wie das Tippen auf einer Tastatur, Mausklicken, Klopfen an einer Tür, Telefonklingeln, Druckergeräusche etc. Die Bilder aber sind außerhalb eines Büros, in der Umgebung des Ostends, in Parks, beim Hafen, auf der Straße etc. Das Innenleben der EZB, was dem Normalbürger sonst verschlossen bleibt, soll durch die Geräusche aus seinem (vermeintlich) Inneren eine Verbindung herstellen. Das Äußere nahbar machen und so ein Stück weit zu einer möglichen Nahbarkeit beitragen. Oder im Endeffekt doch nicht?

Schließlich die Romanzitate, aber diese erklären sich von selbst.

Hier also steht mein Kommentar zur EZB, so vage oder konkret wie ich es für richtig hielt und wieder mit neuem Platz für Fakten und Ansichten.